Personality Preis Bremen
Montag, 10. Dezember 2018
Bremen, Obere Rathaushalle
 
Inge Buck
Laudatio auf Madjid Mohit
In 11 Stationen
 
1
Wenn Madjid Mohit in der Bremer Bahnhofsvorstadt aus den hochgelegenen Fenstern seiner Verlagsräume auf die Stadt blickt, fließen die Bilder zuweilen ineinander, vermischt sich der Nebeldunst der Hansestadt mit dem Smog der iranischen Millionenstadt. Wenn er auf der Frankfurter Buchmesse in seinem schmalen Verlagsstand sitzt, dann erinnert er sich zuweilen an den Tag, als er - auf dem Fluchtweg von Teheran nach Amerika – auf dem Frankfurter Flughafen mit falschem Pass festgenommen wurde.
 
2
Mit dem Geruch von frischbedrucktem Papier ist Madjid Mohit aufgewachsen, mit dem Abenteuer, wie Bücher entstehen, mit dem Blickwechsel zwischen Sprachen und Kulturen. Er kommt aus einer Verlegerfamilie: schon sein Großvater brachte das erste persisch-deutsche Wörterbuch auf den Weg, das nach jahrzehntelanger Vorarbeit 1958 im Verlag seines Vaters bei Mohit Publishing in Teheran erschienen ist. Der Verlag war führend im Bereich zweisprachiger Lehrbücher und Lexika, auch westliche Literatur wurde gedruckt.
Als Madjid nach dem Abitur ins Geschäft seines Vaters einsteigt, erweitert er das Verlagsprogramm um zeitgenössische Autoren der Weltliteratur sowie um moderne iranische Lyrik.
 
3
Nach der Revolution von 1979 erlebt der 18-Jährige - nach kurzem Scheinfrühling – wie der islamistische Fundamentalismus in alle Lebensbereiche eindringt: wie das Kulturamt zum Zensuramt wird, lateinische Buchstaben verboten werden, die Universitäten geschlossen bleiben. Er erfährt, was Zensur für einen Büchermacher und Schriftsteller bedeutet, wie Denken, Sprechen und Schreiben beschnitten werden, wie schließlich die Schere im Kopf den äußeren Eingriffen vorauseilt.
 
Die Vorladungen zur Zensurbehörde, die Reduzierung der Papierzuteilung, die Vernichtung von 3000 Exemplaren von Marquez' "Hundert Jahre Einsamkeit“, schließlich die Todesdrohung gegen Salman Rushdie sind Alarmsignale, die Madjid Mohit 1990 endgültig zur Flucht aus seiner Heimatstadt zwingen.
 
4
Nach Flucht, Asylverfahren und Anerkennung als politischer Flüchtling ist es Madjid Mohit gelungen, dort wieder anzuknüpfen, wo sein Lebensfaden abgeschnitten worden war: bei seiner Liebe zum Büchermachen. 1996 gibt er eine zweisprachige Literaturzeitschrift heraus unter dem Namen Sujet – eine Brücke zwischen Orient und Okzident, zwischen Teheran und Bremen. Das war die Geburtsstunde des Sujet Verlages.
 
Bald hat sich der „alternative Kleinverlag im Viertel", der sich besonders für Lyrik engagiert, bei Bremer Autoren herumgesprochen. Und so suchte ich mit einem Manuskript in der Tasche 2004 den Verlag in der Friesenstraße auf. Mit Beharrlichkeit, Flexibilität und Begeisterungsfähigkeit und einer schwergewichtigen Heidelberger Druckmaschine gibt Madjid Mohit im Offsetverfahren mehrfarbige Kataloge, Bildbände und Bücher heraus, die er - oft in nächtlichen Sonderschichten und mit Hilfe von Freunden - eigenhändig sortiert und zusammenlegt. Neben Lyrik deutschsprachiger Autoren, besonders aus Bremen, stehen zweisprachige Kinderbücher, Sachbücher zum Thema Migration und iranische Exilautoren, die inzwischen auch auf Deutsch schreiben.
 
5
Vom Flüchtling zum Verleger“: so titelt im Frühjahr 2010 Henning Bleyl in der Taz Bremen und berichtet über die Präsenz des Sujet Verlages auf der Leipziger Buchmesse. Die sprachliche, kulturelle und mediale Vielfalt seines Programms, hat Madjid im Verlagsverzeichnis zu dieser Frühjahrsmesse bereits formuliert:
 
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, ganz besondere Buchprojekte zu realisieren, die verschiedene Kulturen, Autoren und Künstler im Zusammenspiel verschiedener Medien fördern und vereinen und die Exilautoren hierzulande eine Stimme geben.
„Sujet“ bedeutet nicht nur im Französischen „Thema“, sondern auch auf Persisch.Somit ein idealer Name für einen Verlag, der sich der großen Tabu-Themen annimmt, wie Politik, Sexualität, Moderne, Verfolgung, Migration und Integration. Deshalb fördert der Sujet-Verlag besonders auch die Exilliteratur iranischen Autoren.
 
6
Hier ist Iran!“ Unter dem Titel der Verszeile von Sanaz Zaresani, der persischen Lyrikerin, erscheint folgerichtig ein Jahr später im Sujet Verlag die Anthologie „Persische Lyrik im deutschsprachigen Raum.“
In den Gedichten“, so der Herausgeber Gerrit Wustmann im Vorwort, „geht es um das Leben unter der Diktatur, das Leben im Exil und die Ich-Suche zwischen zwei Sprachen und Kulturen“.
Und er dankt Madjid Mohit, der nicht nur mit eigenen Gedichten vertreten ist, sondern „der das Projekt von Anfang an mit großer Begeisterung gefördert und unterstützt und es auf jedem Schritt des Weges begleitet hat.“
 
Gleichzeitig startet der Sujet Verlag die Reihe „Edition Moderne iranische Lyrik“ mit Übersetzungen aus dem Persischen ins Deutsche. So z.B. mit Gedichten von Seyed Ali Salehi, dem Dichterfreund, der in Teheran geblieben ist: Verse, die Madjid Mohit unter dem Titel „Geboren in ein verworrenes Lied“ übertragen hat und die ihn all die Jahre über begleitet haben.
 
Wir müssen am Leben bleiben.
Der Regen ist noch da,
der Weg, der Traum, die Klarheit.
Die Nacht ist nur eine Metapher.
Die Nacht ist niemandes Feind.
Wir erreichten die Freude durch die Widmung des Lebens.
Versuche das mit dem Gedicht:
Es ist gut,
ist die Hoffnung,
die Freude,
der Frieden…
 
7
Mit dem Umzug des Verlages in die Bremer Bahnhofsvorstadt hat sich Madjid von der Heidelberger Druckmaschine getrennt, in den neuen Verlagsräumen können die Bücher jetzt schneller und leichter im digitalen Druckverfahren hergestellt werden. Madjid Mohit hat jetzt mehr Raum und Zeit für die verlegerische Arbeit: für Kontakte mit den Übersetzerinnen und Übersetzern für zweisprachige Literaturprojekte aus dem Französischen, dem Indonesischen, dem Arabischen, dem Persischen, z. B. mit der Neuauflage der vergessenen Gedichte des 1992 in Deutschland ermordeten iranischen Lyrikers Freydoun Farokhzad unter dem Titel „Andere Jahreszeit“.
 
8
„Für seine kontinuierliche und beeindruckende Arbeit für Autoren, die nicht in ihrem Heimatland leben und publizieren wollen oder können.“
erhält Madjid Mohit Im November 2015 vom deutschen PEN in Darmstadt , den Menschenrechtspreis, benannt nach Hermann-Kesten.
 
9
Mit dem Buchprojekt „Stolpersteine in Bremen“ startet der Sujet Verlag im Auftrag des Vereins „Erinnern für die Zukunft“ und der Landeszentrale für politische Bildung bereits 2013 die Reihe der „Biografischen Spurensuche“ mit Band 1 Bremen Nord. Kontinuierlich folgen weitere Bände für die anderen Bremer Stadtteile. Im Februar 2019 erscheint nun der 5. Band der „Stolpersteine“ mit Findorff – Walle- Gröpelingen.
 
10
Ich sage immer, Literatur hat einen besseren Zugang zu den Menschen als die Politik“, so Madjid Mohit zu den „Iranischen Abenden“ im September dieses Jahres. Unter dem Motto „Reisen in die Literatur“ hat der Sujet Verlag eine 14- tägige Veranstaltungsreihe in Bremen und Oldenburg organisiert: Einen multimedialen, interkulturellen Dialog mit zweisprachigen Autorenlesungen, Gesprächen, Filmvorführungen und einem Theaterprojekt als Brückenschlag zwischen der deutschen Lebenswelt und dem unbekannten Iran.
 
11
Längst schon hat sich Madjid Mohit mit dem Begriff der Exilliteratur auseinandergesetzt. Mit der Frage, ob vor dem historischen Hintergrund von Flucht und Vertreibung, von Sprachverlust und Sehnsucht nach einer Welt von Gestern, - der Begriff „Exilliteratur“ für die Publikationen seines Verlages im lebendigen Blickwechsel zwischen Sprachen und Kulturen noch zutreffend ist. In der Diskussion um einen zeitgemäßen Literaturbegriff findet er das Stichwort im Theaterprojekt „Luftwurzeln“: einer biografisch-dokumentarischen Theaterarbeit mit Menschen aus acht Nationen und drei Generationen, in der Madjid auch als Akteur mitwirkt hat.
 
Luftwurzelliteratur“: inspiriert von Theaterluft , von Orchideen und Magroven, die ihre Nahrung aus der Luft holen, nicht angewiesen sind auf den Boden. Eine Literatur, die die regionale Begrenztheit hinter sich gelassen hat, die ortsunabhängig wirkt, geschrieben von Schriftstellern und Schriftstellerinnen, die in einem fremden Land eine neue Heimat gefunden haben, die Abschiede in Ankunft verwandeln, Reduzierung in Reichtum, die grenzübergreifend die hiesige Kulturlandschaft bereichern.